Es ist Anfang September. Der Herbst ist nah, aber das Wetter zeigt sich weiterhin freundlich sommerlich. Gemeinsam brechen 11 mutige Reiter aus vier verschiedenen Ländern auf – in das Abenteuer ihres Lebens, wie es manche später bezeichnen werden.
Es ist früh morgens, als wir in Jasper losfahren. Mehrere Trucks und drei große Pferdetrailer bringen uns und unsere insgesamt 17 Pferde zum Startpunkt, gleich um die Ecke des berühmten Columbia Icefield Gletscher.
Unsere Pferde hatten wir am Vortag schon bei einem kurzem Proberitt kennengelernt. Sie haben alle vorwiegend etwas Kaltbluteinschlag und sind kräftige und trittsichere Backcountry Trail Pferde.
Nun geht es ans Satteln und unsere gesamte Ausrüstung auf die Pferde packen. Alle unsere persönlichen Dinge müssen auf unser eigenes Reitpferd passen. Das sind vor allem Regenkleidung, Schlafmatte, Schlafsack, Wechselkleidung, wenige Hygieneartikel und etwas Verpflegung plus Wasser für den Tag. Insgesamt haben wir versucht nicht mehr als 20 kg dabei zu haben.
Zelte, Tarps, Essen und alle Küchenutensilien werden in Boxen auf die insgesamt fünf Packpferde verteilt. Zusätzlich haben wir drei Kettensägen und eine Axt dabei. Es heist, die vor uns liegenden Trails wurden die letzten drei Jahre nicht genutzt. Was bedeutet, dass eine Vielzahl an Bäumen um liegen und somit die Wege teils unpassierbar machen. Eine große Aufgabe liegt da vor uns…
Es herrscht betriebsame Aufbruchstimmung. Alle wuseln herum und plötzlich geht es dann auch schon los. Insgesamt 140km des South Boundary Trails durch den Jasper National Park wollen von uns gemeistert werden.
Bereits hinter der ersten Kurve verschlucken uns die rauen Wälder der Rocky Mountains und bringen uns ganz schnell vom Kopf ins Herz. Keine Zeit mehr für Gedanken, es bleibt nur noch Staunen, Bewundern und Genießen.
Auf Wiedersehen Zivilisation – Hallo Wildnis
Eine neue Realität tut sich vor uns auf und entblößt hinter jeder weiteren Kurve mehr und mehr ihre atemberaubende Schönheit. Langsam schlängeln wir uns den ersten steilen Berg hinauf. Es handelt sich um den Nigel Pass, dessen Überquerung uns in das erste Tal bringen wird. Der Weg ist steil und felsig. Bereits jetzt werden die frei mitlaufenden Packpferde sehr kreativ und suchen sich ihren eigenen Weg durch die unwegsame Landschaft.
Unten im Tal angekommen treffen wir auf den Brazeau River, dem wir nun die nächste Zeit folgen werden. Dieser erste Tag sollte uns bereits einiges an Anstrengung abverlangen. Nach einer kurzen Rast liegen noch weitere etwa 10km vor uns.
Wir arbeiten uns gemächlich den Fluss entlang und müssen diesen auch einige Male durchqueren. Etwa zwei Stunden vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir unser erstes Nachtlager. Wir satteln unsere Pferde ab und bauen das Camp auf.
Zeitgleich geht es ans Holz sammeln und Feuer machen. Jemand holt in großen, eisernen Töpfen Wasser vom Fluss und setzt es aufs Feuer. Eine Routine die uns nun schnell geläufig werden wird. Peter kocht Abendessen, während unser Guide Gunner und seine zwei Helfer die erste Hälfte unserer Pferde frei lässt, damit diese grasen gehen können. Geplant ist, dass nach einer Weile die Pferde getauscht werden, damit dann die andere Gruppe auf Futtersuche gehen kann. Die restlichen Pferde warten geduldig an den Bäumen angebunden. Manche dösen, scheinen sie doch auch müde von diesem langen Tag. Im Hintergrund hören wird die Glocken klingeln, die die grasenden Pferde um ihren Hals tragen. Doch nach einer Weile hören wir plötzlich nichts mehr! Das ist kein gutes Zeichen!
Und von nun an gilt, jeden Tag eine Geschichte…
Gunner und seine Männer laufen in die Richtung, in die die Pferde verschwunden sind. Es wird bereits Dunkel, man sieht fast nichts mehr. Die Pferde, die immer noch an den Bäumen angebunden warten, werden langsam unruhig. Auch sie fühlen, dass die anderen Pferde nicht mehr da sind. Wir entscheiden uns, die zurückgeblieben Pferde an der Hand grasen zu lassen. Und so gehen gute zwei Stunden ins Land bis endlich ein Wiehern durch die dunkle Nacht zu uns durchdringt, sowie leises Glockenläuten. Erleichtert atmen wir auf. Nach einer Weile tauchen die Männer auf und haben drei Pferde bei sich. Sie konnten sie bis zur letzten großen Flussdurchquerung verfolgen. Die Pferde waren gerade dabei, auf die andere Seite zu ziehen, drei konnten sie gerade noch daran hindern und wieder mit zurückbringen. Zu Fuß hatten die Männer keine Chance durch den tiefen Fluss zu kommen und so mussten sie die letzten sechs Ausreißer erstmal ziehen lassen.
Am nächsten Morgen ritten sie dann mit dem ersten Tageslicht los, um nach den fehlenden Pferden zu suchen. Die Männer brauchten mehr als 4 Stunden, bis sie wieder zurück waren und die restlichen Pferde müde, aber wohlbehalten mitbrachten.
Es war bereits Mittag, bis wir unsere Ausrüstung auf die Pferde geladen hatten und weiterziehen konnten. Die Strecke führte uns weiter das Tal entlang, immer dem Fluss stromaufwärts folgend. Zu unserer Linken stachen senkrechte Felswände der naheliegenden Berge empor. Zu unsere Rechten erstreckte sich das weitläufige Tal, dass dann wiederum in den Berghängen auf der gegenüberliegenden Seite mündetet.
Eine sehr beeindruckende Kulisse.
Nach einigen Stunden erreichten wir unser neues Lager namens Brazeau Meadows. Hier wollten wir zwei Tage verweilen und einen Pause Tag einlegen. Dieses Mal mussten wir auch keine Sorgen haben, dass die Pferde wieder das Weite suchen würden. Zum einen gab es hier deutlich mehr Futter, da die Flächen die letzten Jahre nicht beweidet wurden. Zum anderen war dieses Pferdecamp so gut angelegt, dass man die Ausgänge mit einem Holzzaun verschließen konnte. Aufgrund dieser guten Gegebenheiten durfte die ganze Herde zusammen frei rumlaufen und futtern.
Wir schlugen unsere Zelte und Tarps direkt am Fluss auf. Zwar war es etwas riskant, wegen den bereits sehr kalten Nächten, nicht den Schutz zwischen den Bäumen zu suchen, aber dann auch zu verlockend, aufgrund der unbeschreiblichen Kulisse.
Brazeau Meadows verwöhnt uns mit allen Vorzügen, die ein Camp so bieten konnte. Manche von uns gingen zum ersten Mal im Fluss baden und konnten Haare und Kleidung waschen. Das Wasser war hellblau leuchtend und ja, eiskalt! Aber was für ein unbeschreibliches Hochgefühl, wenn man dann sauber und warm in frische Kleidung gehüllt war. Die Highlights des Lebens können manchmal so einfach sein!
Am folgenden Tag planten wir einen kurzen Ritt zum Brazeau Lake, quasi der Ort, wo der Brazeau River entspringt. Doch bevor der Tag richtig los ging, weckte uns unser Guide Peter und brachte allen frischen Kaffee oder Tee an den Schlafplatz. Das sorgte für viel heitere Stimmung. Unsere Matratzen und Schlafsäcke waren von dieser Nacht mit einer Eischicht bedeckt. Wir hatten das erste Mal bei Temperaturen im Minusbereich draußen geschlafen. Ein heißes Getränk war also mehr als willkommen!
Nach dem Frühstück am Lagerfeuer mit warmem Haferbrei zogen wir los. Unsere Pferde genossen den leichten Spazierritt zum See. Die Sonne stand hoch am strahlenblauen Himmel. Obwohl wir uns schon sehr nah im Alpinen Bereich befanden, war es sommerlich warm und der See lachte uns förmlich an, darin zu baden. Das taten wir dann auch als aller Erstes. Die Stimmung war ausgelassen und fröhlich und jeder wurde lautstark gefeiert, der sich traute in diesem sehr kalten Wasser einzutauchen, oder gar zu schwimmen. Wenn man das nicht gewohnt ist, kostet es schon einiges an Überwindung, aber das kanadische Flair und die warme Sonne ließ uns mutig werden.
Anschließend lud uns Peter zu einem reichhaltigen Mittagessen aus der Satteltasche ein. Er hatte an alles gedacht. Es gab geräucherten Lachs aus Alaska, selbst gemachtes Trockenfleisch, verschiedene Trockenfrüchte, Nüsse und sehr leckeren Käse aus Frankreich und der Schweiz. Das alles schmeckte so gut hier draußen! Wir futterten uns fröhlich durch das reichhaltige Buffet und lauschten dabei Peters zahlreichen Wanderreitgeschichten aus aller Welt.
Auf dem Rückweg halten wir noch an einer der Ranger Hütten an. Unser Guide Gunner, der ein echter Einheimischer und auch der Besitzer der Pferde ist, erzählte uns Geschichten über die Familie, die dort einst lebte. Er zeigte und ein altes Logbuch, welches im Jahr 1978 begonnen wurde. Jeder der an einen dieser Hütten vorbei kam, konnte sich dort eintragen. So schmökerten wir in diesen alten Aufzeichnungen und ließen es uns zum Schluss nicht nehmen, uns heute, fast 50 Jahre später, selbst darin zu verewigen.
Am nächsten Morgen zogen wir weiter und ließen das Brazeau Gebiet hinter uns. Unser Ziel sollte dieses Mal ein Lager am Isaac Greek sein. Dort würden wir auch die nächste Rancher Hütte finden und ein weiteres Logbuch zum Schmökern und Eintauchen in vergangene Zeiten. Wir erfuhren noch mehr Geschichten über das Leben hier draußen in der Wildnis. Die Parkrancher zogen üblicherweise auch zu Pferd durch diese Gebiete und tun es heute teilweise noch. Darum ist in der Nähe dieser Hütten meistens eine größere Graslandschaft, wo die Pferde genügend Futter finden können. Das sollte dann in der kommenden Nacht auch unseren Pferden zugutekommen.
Der Trail war an diesem Tag leicht, hatten nur sanfte Anstiege und führten uns durch schönste Sumpflandschaften, Wälder, Bäche, entlang bezaubernder Wasserfälle und weitläufigen Graslandschaften, die malerisch von den Bergen umrahmt wurden.
Der Ritt war nicht sehr lang und nach wenigen Stunden erreichten wir Isaac Creek. Es war noch früher Nachmittag und so hatten wir genügend Zeit, diesen neuen Ort zu erkunden. Der Fluss war an dieser Stelle besonders breit und das gesamte Flussbett war so riesig, dass man es kaum mit den Augen auf einmal erfassen konnte. Umrandet wurde diese Szene von rauen Bergen, die bei Sonnenauf- und Untergang feuerrot zu leuchten begannen!
Dies sollte nun auch das Geschenk des nächsten Morgens werden. Es war noch dunkle Nacht, als die Wrangler das Lagerfeuer starteten, frisches Wasser vom Fluss holten und wir mit dem ersten noch kaum erahnbaren Licht loszogen, um die Pferde zu suchen.
Die Stimmung war magisch als wir die Pferde auf den weitläufigen Graslandschaften im mystischen Licht der blauen Stunde fanden. Wie selbstverständlich kamen sie zu uns gelaufen, sobald sie uns erblickten. Sie wussten, dass es Zeit war, zum Lager zurückzukehren. Als wir das Camp erreichten, entschieden sich einige Pferde, etwas weiter rüber zum Fluss zu laufen, um ihren Durst zu stillen. Ich folgte ihnen, während zeitgleich die Sonne die umliegenden Berggipfel in Brand setzte und die ganze Szene in einen leuchtenden Hauch aus rosa und orange tauchte. Die Luft über dem Fluss war noch leicht nebelig und verstärkte dieses Farbenspiel. Alles in mir wurde ganz still und ich hätte in diesem Moment so gerne die Zeit angehalten.
Nach dem Frühstück ging es wieder daran, das Camp zusammen zu räumen und die Pferde zu satteln. Wir wurden immer besser in dieser Routine und so blieb dieses Mal genug Zeit, beim Beladen der Packpferde zu helfen. Ich hatte am Vortag unseren Guide Gunner gefragt, ob er mir dies beibringen könnte. Es ist eine spezielle Weise wie die Boxen mittels einer Seil- und Knotentechnik an den Packsätteln befestigt werden müssen. Nachdem ich die ersten Tage zugeschaut hatte, durfte ich heute das erste Mal mit anbacken und die Handgriffe üben. Neugierig kamen auch ein paar Gruppenmitglieder dazu und gemeinsam halfen wir den Wranglern so gut wir konnten, damit diese nicht mehr allein mit der schweren Arbeit waren.
Nachdem alle Pferde fertig beladen waren, zogen wir am späteren Vormittag wieder los. Die Landschaft sollte sich heute im Vergleich zum Vortag zunächst kaum ändern. Es war ein Genuss, durch diese unberührte Natur zu reiten. Das Wetter zeigte sich weiterhin freundlich sonnig und warm. Was waren wir doch für Glückspilze!
Nach wenigen Stunden änderte sich die Optik des Waldes dann plötzlich dramatisch. Wir betraten ein Waldgebiet, welches 2006 abgebrannt war. Die Szene erschien fast ein bisschen unheimlich. Viele tote, astlose Stämme stachen senkrecht empor, unzählige teilweise angebrannte Stämme lagen kreuz und quer, wie in einem riesigen Mikado Spiel, aufeinander. Junge Bäume sprießen zu abertausenden nach oben, drängen sich dicht an dicht in Wettkampf um den besten Platz und das Licht. Sie sind teilweise bis zu etwa zwei Metern hoch. Es handelt sich überwiegend um Pinien und wir lernen an diesem Tag, dass diese nur sehr langsam wachsen, weswegen sie nach 17 Jahren immer noch so klein waren. Zwischen all diesem dichten Chaos schlängelt sich ein schmaler Pfad, dem wir nun eine Weile folgten.
Der Weg führt uns etwas später auf einer Art Kamm entlang und gibt uns den Blick frei über den weiter unten liegenden Fluss und die umliegenden Ausläufer dieses Waldes. Alles war abgebrannt, soweit das Auge reicht. Die Dimension dieser Fläche ist kaum begreifbar. Zwischen den Bäumen taucht wieder eine Rancher Hütte auf. Gunner erzählt, dass diese nach dem Brand neu erbaut wurde.
Wir bewältigen einen kurzen, aber steileren Abstieg und kommen unten am Fluss an, den wir nun durchqueren müssen. Dieses Mal ist der Fluss nicht sehr breit, dafür aber schnell und tief. Die vordersten Männer durchqueren ihn mit ihren Pferden. Die Packpferde, die frei hinterherlaufen, folgen. Diese entscheiden sich jedoch, weiter rechts den Fluss zu überqueren. Doch dort war das Wasser viel tiefer und sehr reißend durch ein paar Stromschnellen. Ich selbst war als letzte Reiterin noch weiter oben am Hang und konnte die Szene mit leichtem Schrecken beobachten. Peanut und Pepsi waren unsere zwei kräftigsten Packpferde und mein Atmen stockte, als ich hilflos von oben mit ansehen musste, wie sie kaum gegen die Wassermassen ankamen und schwer zu kämpfen hatten. Während die zwei Fjordpferde tapfer versuchten das andere Ufer zu erreichen, entschieden sich nun leider auch einige der nachfolgenden Pferde und ihre Reiter, hinter den Packpferden herzu gehen, anstatt den Fluss weiter links im Flacheren zu queren. Es war schwer mit anzusehen, wie die Pferde dort unten in Schwierigkeiten waren und kaum vorwärts kommen konnten in den reißenden Wassermassen. Ich fing an nach unten zu rufen, dass sich alle links halten sollen. Doch ein Pferd nach dem anderen sprang in den aufgepeitschten Fluss. Endlich konnte eine Reiterin ihr Pferd gerade noch am Flussufer stoppen, damit es nicht auch noch blind den Vorangegangen folgen würde. Erleichtert beobachten wir, wie sich alle Pferde aus dem Wasser heraus kämpften und sicher auf der anderen Seite ankam. Wir restlichen Reiter durchquerten den Fluss nun an der flacheren Stelle und selbst dort war das Wasser so tief, dass wir teilweise nass wurden und die Strömung war so stark, dass es ein spürbarer Kraftakt für unsere Pferde war.
Vollgepumpt mit Adrenalin, aber auch glücklich und zufrieden erreichten wir einige Minuten später unser neues Camp am Southest River, dass uns für die nächsten zwei Tage beherbergen sollte. Hier hatte es eine mehrere Quadratkilometer große Graslandschaft und somit viel frisches Futter für die Pferde. Diese zogen glücklich von dannen, als wir sie an diesem Abend frei ließen.
Der nächste Tag sollte wieder ein Pause Tag für die Gruppe werden. Sie würden wieder einen leichten Ausritt in der Umgebung unternehmen, oder einfach im Camp bleiben und sich ausruhen. Das konnte jeder für sich entscheiden.
Gunner und die zwei Wrangler hatten jedoch andere Pläne. Sie wollten so weit wie möglich auf dem nächsten Streckenabschnitt vorausreiten, um so viele umgefallene Bäume aufzuräumen, wie möglich. Sie hatten mich eingeladen, mit ihnen mitzukommen. Mit leuchtenden Augen stimmte ich zu. Am nächsten Morgen brachen wir vier früh auf, nicht wissend, was uns auf der vor uns liegenden Etappe erwarten würde.
In dem Waldbrandgebiet waren es besonders viele umgefallene Bäume. Die meisten waren jedoch passierbar, so beschlossen wir, diese erst auf dem Rückweg aufzuräumen. Wir wollten erstmal so weit raus reiten wir es uns möglich war. Unsere Deadline war 14 Uhr nachmittags, um umzukehren, damit wir bis zur Dunkelheit wieder im Camp sein würden.
Wir mussten den Fluss einige Male durchqueren. Dieser hatte immer wieder den Trail teilweise auf bis zu mehrere 100m weggespült. Für uns bedeutete es, den Trail zu suchen und neue Markierungen an den Bäumen anzubringen. Manchmal war der Weg komplett überwuchert von dichten Büschen, durch die wir durchreiten mussten. Man durfte hier echt nicht zimperlich sein. Das ein oder andere Mal verloren wir dadurch den Weg, konnten ihn aber schnell wiederfinden.
Die Männer beseitigten an diesem Tag so viele Bäume wie möglich, während ich mit allen Pferden im Schlepptau folgte. Müde erreichten wir am Abend kurz vor Einbruch der Dämmerung das Lager. Zufrieden darüber, dass es die ganze Gruppe am nächsten Tag viel leichter haben würde, den nächsten Streckenabschnitt zu bewältigen.
Rauf ins Alpine…
Das nächste Camp erwartete uns nun nahe des Cairn Passes, kurz unterhalb der Baumgrenze. Auch hier sollten wir zwei Tage verweilen, da wieder ein Team ausrücken musste, den vor uns liegenden Trail von Bäumen zu befreien. Dieses Mal wurden sogar zwei Männer von Parks Canada mit dem Hubschrauber eingeflogen, die uns dabei unterstützen sollten.
Wir rückten an diesem Morgen also zu 6. aus, was auch gut war, denn die Zahl der Bäume, die den Weg versperrten, war dieses Mal unglaublich hoch. Es waren so viele, dass wir an diesem Tag leider nicht fertig werden konnten. Etwa 9km bis zum nächsten Camp mussten wir also am Folgetag noch räumen.
Während das Trail Team sich tapfer durch die Bäume arbeitete, unternahm die restliche Gruppe eine Wanderung auf einen der nahegelegenen Gipfel. Belohnt wurden die fleißigen Wanderer mit einer atemberaubenden Aussicht über die umliegenden Täler, Seen und Flüsse. Der Herbst hatte hier oben schon Einzug gehalten und die bunte Farbenpracht war ein weiterer Bonus für das Auge.
Am nächsten Morgen brachen Gunner, sein Team und ich früh auf. Wir wollten einen Vorsprung vor dem Rest der Gruppe haben, damit wir weiter aufräumen konnten. Auf den letzten etwa 5 Kilometern holte uns die Gruppe dann ein. Wir kamen nur noch sehr langsam voran. Es lagen nun so viele Bäume um, dass kein Durchkommen mehr möglich war. Alle Kettensägen waren nun im Einsatz, Peter und ein weiterer Teilnehmer packten mit an. Mit vereinten Kräften schlugen wir uns im Team bis zum Ende durch und erreichten schlussendlich sehr glücklich unser letztes Camp für diese Reise am Medicine Tent River.
Etwas wehmütig errichteten wir unser Lager. Ein letztes gemeinsames Abendessen am Lagerfeuer. Gunner und Peter kreierten uns etwas besonders Leckeres für diesen Abend. Eine letzte Nacht unterm Sternenhimmel, das Rauschen des Flusses, das leise Bimmeln der grasenden Pferde in der Ferne, all das nahm ich noch mal in mir auf, bevor ich einschlief.
Das leise Bimmeln der Pferde in der Ferne?!
Das war am nächsten Morgen wieder mal verschwunden. Die Pferde sind wieder so weit gewandert, dass wir sie nicht mehr orten konnten. Gunner und sein Team brauchten dieses Mal etwa 3 Stunden, um sie zurückzubringen. Aber wirklich aufregend war es dann nicht mehr für uns. Wir waren das nun schon gewöhnt und es gehört einfach dazu, dass solche Dinge passieren. Wir leben nun schon seit zehn Tagen ausschließlich im Rhythmus der Natur und mit den Gegebenheiten, die uns der Tag so brachte. Welcher Wochentag heute ist, oder welche Stunde, das wissen wir schon länger nicht mehr. Somit kann uns auch ein solches Ereignis nicht mehr aus der Ruhe bringen. Es gibt Frühstück und anschließend bauen alle das Camp schon so weit ab wie möglich. Als die Pferde dann im Camp ankommen, beladen wir sie zusammen Hand in Hand und wir brechen auf.
Unsere letzte Etappe liegt vor uns. Und es sollte auch unsere anspruchsvollste der ganzen Reise werden. Wir befinden uns immer noch weit oben im alpinen Bereich auf über 2000m. Einige Male soll es heute sehr steil bergauf und bergab gehen. Der Pfad manchmal keine 10cm breit an den steilen Geröllhängen. Sehr aufregend für uns, doch die Pferde sind unglaublich und meistern dies mit viel Kraft, Ausdauer und der nötigen Ruhe. Doch selbst sie sollen heute einige Male so außer Atem kommen, dass wir sie immer wieder kurz stehen lassen, damit sie zu Atem kommen konnten. Die Aussicht war dafür einfach fantastisch und ist nur noch schwer mit Worten zu beschreiben.
Nach einigen Stunden erreichen wir den Rocky Pass. Dort wurden wir bereits von Gunners gesamter Crew erwartet. Sie jubeln uns zu. Wir sind glücklich und tief bewegt zugleich. Wir liegen uns in den Armen und einige Tränen rollen. Die Pick-ups mit den Pferdetrailern stehen bereit uns raus zubringen – raus aus der Wildnis, zurück in die Zivilisation …
Danke
Bevor ich zu dieser Reise aufgebrochen bin, war ich in dem Glauben, dass die größte Herausforderung die Zeit dort draußen in den Bergen sein würde und vor allem die schon sehr kalten Nächste. Hinterher durfte ich lernen, dass die größte Herausforderung für mich persönlich darin lag, wieder zurückzukommen. Die Einfachheit dort draußen hat mir gezeigt, wie wenig es eigentlich braucht, um mich verbunden, vollständig und frei zu fühlen. Diese Erfahrung ist ein riesiges Geschenk, das unbezahlbar ist. Von Herzen Danke an dieser Stelle im Namen der ganzen Gruppe an Peter van der Gugten von extremtrail.ch und Gunner von astoriaoutfitting.com für die Idee und Umsetzung dieses sehr speziellen Abenteuers. Das war der Ritt unseres Lebens!
Anne Temme